Im Dienste der Rationalisierung: Qualitätsmanagement

Von Anarr

Erschienen in: Direkte Aktion Nr. 155, Februar 2003

Wer im Gesundheitsbereich arbeitet, wird das Wort schon nicht mehr hören können: Qualitätsmanagement (QM). Doch gerade im Zuge der geplanten Gesundheitsreform soll der Begriff noch weiter an Bedeutung gewinnen.1

Einheitsfront
FunktionärInnen des SPD-nahen zentralistischen Vereins ver.di haben nunmehr eine Broschüre erstellt, in der sie wohl ihre Vorstellungen einer "gesunden Reform" darlegen wollten. "Qualität und Effizienz. Gesundheitspolitik für Menschen" haben sie das Ganze betitelt und damit eigentlich schon zum Ausdruck gebracht, was drin steht. Die zentralen Forderungen: Steigerung der Qualität und Transparenz der Arbeit durch "Leistungsorientierung" und "Mobilisierung von Rationalisierungspotentialen" (S.11). Womit auch klar wäre, auf wessen Seite ver.di stehen will. Die Vorschläge, die sie dazu unterbreiten, müssen eigentlich nicht näher erläutert werden, sind es doch -wie originell - größtenteils die Maßnahmen, die die rot-grüne Regierung sowieso ergreifen möchte. Was Rationalisierungen angeht dürften sich Regierung, "Gewerkschaft", Krankenhausbetreiber und Krankenkassen somit also schon einig sein.

Gelöbnisse
Qualitätsmanagement sei das Mittel der Wahl, "Qualitäts-, Wirtschaftlichkeits- und Wettbewerbsaspekte" unter einen Hut zu zaubern. Um zu einem derartigen Ergebnis zu kommen, wurden im Rahmen eines Modellvorhabens des Bundesgesundheitsministeriums zwischen 1998 und 2001 44 Krankenhäuser unterschiedlicher Versorgungsstufen bei der Einführung eines QM-Systems unterstützt. Eines davon war die Robert-Bosch-Krankenhaus GmbH in Stuttgart, die sich ausgerechnet die Strategie CIP (Continous Improvement Process)2 des Industriekonzerns Bosch zum "Klinikleitbild" erkor. Zur Verdeutlichung, welche Ideologie sich dahinter verbirgt, seien hier die sieben CIP-Grundsätze zitiert:
"1. Wir streben stets nach Verbesserungen des bestehenden Zustandes. Das Erreichte ist Grundlage für weitere Maßnahmen. Der Prozeß der ständigen Verbesserung ist deshalb ohne Ende. 2. Was Qualität ist, bestimmt der Kunde. Seine Anforderungen wollen wir zu 100 Prozent erfüllen. Das gilt auch für interne Kunden. 3. Jeder ist für die Qualität seiner Arbeit selbst verantwortlich. 4. Ursachen von Fehlern und Verschwendung jeder Art wollen wir beseitigen. Vorbeugen geht vor Nachbessern. 5. Wir beziehen alle Mitarbeiter in Ideenfindung, Planung und Problemlösung ein. 6. Partnerschaftliches Verhalten sowie Anerkennung von Leistung und Erfolg sind Grundlage unserer Zusammenarbeit. 7. Jeder ist aufgefordert, seinen Beitrag zum CIP-Prozeß zu leisten. Führungskräfte auf allen Ebenen leben die CIP-Grundsätze vor und sorgen für deren Umsetzung."
Was wie ein Gelöbnis oder Geisterbeschwörung klingt, ist so ernst gemeint, daß sie jede/r Beschäftigte in Schriftform als "Gedankenstütze" (vermutlich zum Einrahmen) ausgehändigt bekam, damit sich diese Grundsätze "zum Selbstverständnis im Denken und Handeln aller Mitarbeiter" entwickeln können.3

Inhalt und Auswirkungen
Doch reden wir Klartext: Was bedeutet "Qualitätsmanagement" eigentlich? - Nichts anderes, als daß mittels straff durchorganisierter und kontrollierter Arbeitsabläufe eine Effektivierung der Produktionsmittel angestrebt bzw. erreicht werden soll. Ziel ist es dabei, Kosten zu senken, "Verschwendungen" zu vermeiden, Haftungsansprüche (Regressforderungen)4 zu minimieren, sich Vorteile gegenüber Konkurrenten zu verschaffen und im Endeffekt die Gewinne zu steigern.
Um die eigene Exklusivität hervorzuheben, werben viele Einrichtungen mittlerweile mit Zertifikaten, die ausweisen, daß sie die Kriterien der international geltenden QM-Norm nach DIN EN ISO 9001 bzw. nach KTQ oder EFQM5 erfüllen. Die vorgebliche Zielsetzung, die Zufriedenheit der Kranken zu steigern und eine Verbesserung der Behandlung zu erreichen, ist dabei nichts als Augenwischerei. Es geht nicht um das Wohlbefinden der Kranken, sondern um eine Anpassung an die Marktlogik, sich über eine Bindung von "KundInnen" im Konkurrenzverhältnis gegenüber anderen zu behaupten und diese auszustechen.
Um die Tragweite etwas zu veranschaulichen, sei hier kurz erläutert, wie ein QM- Prozeß abläuft und welche Auswirkungen er auf die Beschäftigten hat.
Zunächst werden im sogenannten QM-Handbuch interne Grundsätze und die Unternehmensstrategie, Ziele und Verantwortlichkeiten festgelegt. Daraus werden Verfahrensanweisungen abgeleitet, in denen alle Arbeitsabläufe detailliert beschrieben werden (Wer hat wann welche Aufgaben zu erledigen?). Diese haben Arbeitsanweisungen, Regelungen und Vorschriften zur Folge, die genau definieren wie eine Tätigkeit durchzuführen ist (Einführung von Pflegestandards). Besagte Vorgaben wiederum werden regelmäßig durch interne und externe Untersuchungen (Audits) überprüft, um festzustellen, ob die Tätigkeiten und Ergebnisse den Vorgaben und gesteckten Zielen entsprechen. Ggf. wird die Verfahrensweise dann geändert, um aufgetretene Fehler künftig zu vermeiden. Dieser Ablauf wiederholt sich permanent, bis kaum oder gar keine Fehler mehr auftreten. Neben der Kostenminimierung durch Qualitätssteigerung der "Dienstleistungen" (bzw. Produkte) stellen sich noch zusätzliche Effekte ein: die Eigenverantwortlichkeit der Beschäftigten (Stichwort: "flache Hierarchien"/Gruppenarbeit) wird verlangt und genutzt ("verschlankte Organisation"); Fehler können (den Lohnabhängigen) genau zugeordnet, individuelle Leistungen somit effektiver kontrolliert werden. Die zunehmende Arbeitsdichte6 zu Lasten der Beschäftigten führt zur "Aufdeckung" von sogenannten "Personalüberschüssen"; der Personalschlüssel verschlechtert sich ("mehr Arbeit mit weniger Leuten").

Corporate Identity
Dennoch betrachten viele Beschäftigte die Einführung von QM zunächst als positiv, werden doch damit ihre eigene Kreativität und ihr Wissen gefordert. Genau diese Einbindung ist auch beabsichtigt: die Beschäftigten sollen sich mit den Interessen des Unternehmens identifizieren (Stichwort "Corporate Identity"7) Das böse Erwachen läßt mitunter allerdings nicht lange auf sich warten: Spätestens, wenn das Weihnachtsgeld um die Hälfte gekürzt wird (derartige Zertifizierungen kosten einen Batzen Geld, die es an anderer Stelle einzusparen gilt- nämlich bei den Beschäftigten) oder der eigene Arbeitsplatz wegrationalisiert wird, kommen viele Beschäftigte zu der Erkenntnis, daß Einbindung immer auch etwas mit Spaltung zu tun hat und die eigenen Interessen ins Hintertreffen geraten.
Im sozialen Bereich bedeutet(e) die Einführung von QM ganz klar eine weitere Forcierung der Ökonomisierung sozialer Arbeit. Effektivität wird auch hier - analog zum privatwirtschaftlichen Bereich - zum bestimmenden Kriterium. Maßgeblich begünstigt hat diese Entwicklung der schleichende Abbau sozialstaatlicher Leistungen (Konsolidierung der Haushalte) und die einsetzende Expansion privatgewerblicher Betriebe, womit sich der Legitimationdruck der finanziellen Träger auf die Leistungsanbieter (Stichwort "Kosten-Nutzen-Verhältnis") immer weiter verstärkte. Die Ursachen liegen allerdings tiefer: im System begründet!

Hoch die Faust!
Wen sollte es wundern: ver.di unterstützt derartige Prozesse nicht nur, sondern startete gar selbst ein Projekt "QM in ver.di". Das läßt eigentlich schon ausreichend Rückschlüsse darauf zu, was DGB- Gewerkschaften wie ver.di eigentlich präsentieren: Dienstleister8 mit Gewerkschaftsanspruch! Daß ver.di ausgerechnet im Rahmen ihrer "Gesundheitskampagne" auf Mitgliederfang gehen will, kann eigentlich nur belächelt werden. Bieten sie doch einmal mehr genügend Gründe, ihr endlich den Rücken zuzuwenden und sich fortan in selbstorganisierten Gewerkschaften zusammenzuschließen.
(Und um die Frage, die mir ein Demonstrationsteilnehmer letztens in Bezug auf die FAU stellte, noch einmal aufzugreifen) Wir wollen den DGB- Gewerkschaften keine "Konkurrenz" machen. - Wir sind die logische Konsequenz ihrer arbeitnehmerfeindlichen Politik!

Fussnoten
1
Das System QM an sich ist dabei schon um einiges älter und wurde ursprünglich für Industriekonzerne entwickelt.
2
Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß
3
DEMO-PRO-QM Aktuell 1/2000
4
Hier Minimierung von Schadensansprüchen (und somit Kosten). Krankenkassen haben durch das Gesundheitsstrukturgesetz das Recht, in Behandlungen Einblick zu nehmen. Sie können beispielsweise überprüfen, ob Nachbehandlungén eine Folge von "Fehlern" sind. Sollte dies des Fall sein, können sie die Kostenübernahme verweigern.
5
EFQM: Europäische Stiftung für Qualitätsmanagement
6
Individuelle Arbeistintensivierung v.a. durch die Ausweitung von Pflegedokumentationssystemen bei gleichbleibendem bis steigendem Arbeitsanfall (bei multimorbide PatientInnen) am Krankenbett.
7
Corporate Identity: gezieltes Bemühen der Leitung, alle Verhaltensweisen des Unternehmens, intern und extern, unter ein einheitliches Konzept zu stellen.
8
Mitgliedern werden u.a. günstige Versicherungen jeglicher Art, Bausparverträge und Rechtsschutz angeboten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 
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