Abspann

Rationalisierungen in der Kino- Branche

Von Anarr

Nicht nur die Beschäftigten bekommen es zu spüren: Spätestens, wenn Kinos einfach von der Bildfläche verschwinden, merken auch die KonsumentInnen der Filme, daß das nicht nur der Abspann des Streifens war, den sie dort zuletzt sahen.
Seit Jahren schon tobt dieser Verdrängungskampf in der Kino- Branche, in dem kleine und ältere Häuser zuerst auf der Strecke bleiben. "Konzentration" heißt das Zauberwort und balgen wollen sich die Großen nicht nur mit den Kleinen, sondern auch untereinander, um sich die begehrten Marktanteile abzujagen. Die Zeche dafür sollen natürlich die Beschäftigten zahlen.

Konzentrationsprozesse
Anfang der neunziger Jahre wurde in der Branche ein Umbruch eingeläutet, den maßgeblich Konzerne wie die amerikanische UCI und die neu gegründete Cinemaxx AG in Deutschland gestalteten. Mit ihren Multiplex- Kinos wurden neue Konzepte in der Architektur und der Ausstattung etabliert, die beispielgebend für andere wurden. Zugleich setzten sie eine Entwicklung in Gang, die zu einer Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen führen sollte. Eingestellt wurden nun verstärkt StudentInnen oder SchülerInnen, die weniger Sozialbeträge beanspruchen. Normal- Beschäftigungsverhältnisse, die bis dahin noch in den kleinen Kinos vorherrschend waren, wurden nicht weitergeführt und die Beschäftigten kurzerhand auf die Straße gesetzt.

Verdrängung durch Masse
Im Kampf um BesucherInnenströme setzten die Großen zunächst auf Masse: Immer neue Filmpaläste wurden hochgezogen, um sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Staatlich begünstigt durch Steuervorteile auf Anteile an Fonds fanden sich immer auch neue Investoren, die für diese Zwecke gewonnen werden konnten. Doch nach wenigen Jahren stießen auch die kapitalkräftigen Konzerne an ihre Grenzen: Der erhoffte Zuwachs an BesucherInnen blieb aus und die Multiplexe müssen seitdem genauso um ihre Auslastung bangen.

Wie zum Beispiel in Berlin: Berechnet wurde nach heute branchenüblichen Kriterien, daß für die 3,4 Millionen EinwohnerInnen 34.000 Kinosessel ausreichen würden. Ende 1999 gab es dagegen schon 56.000. Seit 1995 wuchs die Zahl der Säle von 162 auf 276 an. Zu den 24.000 Sitzen, die in den 87 kleineren Kinos übrig geblieben sind, kamen in den vergangenen Jahren weitere 32.000 hinzu. Entstanden sind diese ausnahmslos in den 13 neuen Multiplex- Kinos. Der Umsatz indes blieb weit hinter den Erwartungen zurück: 1999 wurden gerade mal 11,6 Millionen Tickets verkauft - nur 1,8 Millionen mehr als 1993, als der Bauboom der Multiplexe begann.
Eine ähnliche Entwicklung zeichnete sich im bundesweiten Maßstab ab: Im Jahre 2000 sank erstmals seit zehn Jahren der Ticketumsatz um gut einen Prozent auf knapp 0,82 Milliarden Euro. Die Auslastung der Kinos fiel mit 176 Gästen je Platz fast auf den Stand von 1996 zurück - für die Betreiber und AktionärInnen eine mittlere Katastrophe, lagen die Planzahlen (und damit Gewinnerwartungen) doch weit höher.

Kampf der Giganten
Bundesweit entstanden bis Mitte 2000 117 Kinotempel (mit entsprechender Anzahl von Sälen). Damit stellen die Multiplexe zwar nur ein knappes Viertel der rund 4.700 Kinosäle. Diese gehören aber nur noch einer Handvoll Betreiber, die mittlerweile 39 Prozent der gesamten BesucherInnen und 43 Prozent des Umsatzes auf sich vereinen.
Allein zwischen Januar und Juni 2000 wurden bundesweit 153 Kinosäle (1999: 262) geschlossen. Darunter vor allem kleinere Kinos, die es angesichts derartiger Konzentration immer schwieriger haben mitzuhalten. Die Modernisierung ihrer Spielstätten, v.a. die Digitalisierung von Bild und Ton, erfordert hohe Investitionen. Dem Preiskampf mit Billig-/Lockangeboten sind sie dabei ebensowenig gewachsen wie dem um die Filmkopien der neuesten Filme: Die stetig steigenden Produktionskosten der vorrangig konsumierten Hollywood- Streifen treiben auch die Verleihmieten in die Höhe. Hinzu kommt die fehlende Bindung an mächtige Verleiher.

Denn die Konzentrationswelle wird nicht nur durch Fusionen von Betreibern, sondern im gesamten Filmgeschäft verschärft: Bei Cinemaxx, wo bereits die belgische Kinokette Kinepolis vorübergehend mit 25,1 Prozent einstieg, sicherte sich der Berliner (neben Constantin und Kinowelt größte deutsche) Verleiher und Produzent Senator seit 2000 ebenfalls eine Sperrminorität (25%). Bei Theile Hoyts (Kinopolis-Spielstätten) stieg der Münchner Medienkonzern und Verleiher Kinowelt mehrheitlich ein, der auch noch die Häuser des australischen Multiplex-Betreibers Village Roadshow in Deutschland übernehmen wollte. Die Kinowelt Medien AG (Hauptaktionäre sind mit 31% Michael und Rainer Köhnel und mit 5% die Münchener Rückversicherung) deckte damit die gesamte Verwertungskette ab - bei Produktion und Verleih (Jugendfilm, Arthus) angefangen, über Kinos (Kinopolis, Village) und den Lizenzhandel für Video/DVD, Fernsehen und Internet bis hin zum Merchandising (Ladenkette Brameier Fanworld). Doch der Versuch des Verleihers, sich mit dem Einstieg bei Kinoketten eine Vorzugsbehandlung der eigenen Streifen und Werbung zu sichern und gleichzeitig mit ihrem Lizenzhandel vom saisonal geprägten Kinobesuch unabhängig zu bleiben, schlug gründlich fehl: Der Höhenflug von Kinowelt wurde jäh beendet, als der Konzern 2000 in die roten Zahlen rutschte. 2001 mußte Insolvenz beantragt werden, nachdem er im ersten Quartal weitere Verluste in Höhe von 161,9 Mio.Euro vor Zinsen und Steuern einfuhr und seine Gläubiger nicht mehr bedienen konnte. Der Umsatz fiel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 6,2% auf 118,6 Mio. Euro. Im ersten Halbjahr 2000 wurde ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern in Höhe von 50,6 Mio. Euro erzielt. Nicht nur, daß sich das erst 2001 erworbene Kinogeschäft als defizitär erwies. Eingeleitet hatte den Niedergang bereits der Kauf eines 286 Millionen Euro teuren Filmpakets (mit 270 Spielfilmen und 600 Serienfolgen) vom amerikanischen Konzern Warner Brothers. Die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen konnte Kinowelt nicht bedienen. Bei der Ersteigerung hatte der Konzern die deutschen Branchengrößen Kirch und Bertelsmann ausgestochen, deren TV-Töchter sich aber weigerten, Senderechte aus dem Lizenzpaket zu kaufen. Weil auch die öffentlich- rechtlichen Sender ARD und ZDF nur spärlich interessiert blieben, saß Kinowelt quasi auf unverkäuflicher Ware, die teuer bezahlt werden mußte. Dazu kam das Problem der hohen Bankverschuldung, die zum ersten Halbjahr 2001 nach firmeneigenen Angaben über 400 Mio. Euro betragen haben soll. Allein bis Ende 2001 sollte eine Kreditsumme von 300 Mio. Euro zurückgezahlt werden.
Deshalb wurden Umstrukturierungen vorgenommen, um die Zahlungsfähigkeit des Mutterkonzerns zu erhöhen. Im Juli 2001 meldete Kinowelt dazu zunächst Insolvenz für die verlustträchtige Merchandising- Tochter Bramaier Fanworld AG an, an der der Mutterkonzern 65% hielt. An der rentablen MR Kinowelt, an der der Konzern 50% hält, wurde dagegen festgehalten.
Bereits eine Woche später verkaufte Kinowelt auch seine Anteile am Berliner Progress Film-Verleih (hauptsächlich Lizensierung alter DEFA-Filmrechte) an dessen Mehrheitseigner, die Münchner Tellux-Beteiligungsgesellschaft. Das Filmpaket mußte unter hohen Abschreibungen an Warner Brothers zurückgegeben werden. Verhandlungen mit dem Hauptgläubiger, der niederländischen ABN AMRO Bank, über Umschuldungen verliefen ergebnislos. Nachdem sie Kinowelt Kredite in Höhe von rund 60 Mio. Euro gekündigt hatte, mußte auch die Kinowelt Medien AG und ihre Tochter Kinowelt Lizenzverwertungs GmbH im Dezember 2001 ein Insolvenzverfahren einleiten. Mit dem Insolvenzantrag wurden auch alle anderen Kredite des aus 24 Instituten bestehenden Konsortiums fällig gestellt.

Außer Puste
Doch auch andere Kinobetreiber beginnen zu schwächeln. Als eine der ersten geriet die Kinokette Ufa Theater GmbH & Co. KG, einst Marktführerin in Deutschland, in Schwierigkeiten. Der Konzern nahm zwischen 1995 und 1998 Investitionen von mehr als 150 Millionen Euro in Neubauten vor, um im Wettbewerb mit anderen Multiplex- Betreibern wie Cinemaxx bestehen zu können. Weitere Umstrukturierungen sollten folgen. Ende 1999 wurde ein umfangreiches Sanierungsprogramm eingeleitet, in dessen Zuge ein Drittel der gesamten Sitzplatzkapazität von 90.000 auf 60.000 reduziert wurde. Unrentable Standorte, darunter auch einige Multiplex- Kinos, wurden geschlossen. Im Mai 2000 gab die Düsseldorfer Rieck-Gruppe, die 80 Prozent an Ufa hält, den Einstieg des Konkurrenten Cinemaxx mit 10% bekannt. Der Konzern übernahm zudem die operative Leitung sämtlicher Filmtheater der (einst konkurrierenden) Ufa- Gruppe, zu der zu diesem Zeitpunkt 354 Leinwände gehörten. Mittelfristig (bis 2005) sollte die Fusion folgen, womit ein neuer Branchenriese mit über 300 Millionen Euro Umsatz und 600 Leinwänden entstanden wäre. Aus den Plänen wurde jedoch nichts: Seit September 2001 tritt Ufa wieder mit eigenem Management als eigenständiger Konkurrent auf. Entstanden war die Partnerschaft aufgrund des bestehenden Überangebots an Kinoleinwänden bei stagnierenden BesucherInnenzahlen. Die Trennung erfolgte nach nur eineinhalb Jahren auf Wunsch der Ufa. Die Gewinnerwartungen, die der Konzern und seine Mehrheitsgesellschafter, der US-Versicherungskonzern PRICOA Capitals und die Beteiligungsgesellschaft Apax Partners, an die Kooperation geknüpft hatten, wurden nicht erfüllt: Ufa schrieb auch 2001 rote Zahlen. Der Konzern nahm sich deshalb allein bis 2002 erneute Einsparungen von mehr als 2,5 Millionen Euro vor; bis 2003 wollte er sich wieder in die Gewinnzone bringen.
Cinemaxx blieb mit einer "strategischen Beteiligung" von 10% an Ufa beteiligt. Auch bei der Programmplanung und im Vertrieb, beispielsweise von Kino- Gutscheinen, arbeiten Cinemaxx und Ufa weiter zusammen. Mit einem Umsatz von rund 84 Mio. Euro im Jahre 2001 ist die Ufa-Theater GmbH nach Cinemaxx und Kieft & Kieft (CineStar) derzeit noch die Nummer drei in Deutschland, gefolgt von Kinopolis. Sie verfügt über 233 Leinwände in 41 Kinos, darunter zehn Multiplexe. 2002 flammten immer wieder Gerüchte um eine drohende Insolvenz auf. Der Konzern verfügt über rund 1.000 Beschäftigte.

Angeschlagen
Erfahrungswerte in der Branche besagen, daß nach knapp zwei Jahren auch neue Multiplexe von BesucherInnenschwund und Umsatzstagnation betroffen sind. Flebbe, mit 30 Cinemaxx- Großkinos größter Multiplex- Betreiber, macht der Verdrängungswettbewerb deshalb genauso zu schaffen. Gegründet wurde die Cinemaxx AG, die sich schnell zum Marktführer in Deutschland mauserte, 1989 von dem Hannoveraner Kino- Mogul Hans- Joachim Flebbe, der sich dazu mit den Medienunternehmern Rolf Deyhle und Dr. Bodo Scriba zusammentat. 1998 ließ sich die Gesellschaft als erstes Kinounternehmen in Deutschland an der Frankfurter Wertpapierbörse notieren. Die Unternehmensgruppe mit Sitz in Hamburg bespielte im Jahre 2000 allein 53 Kinocenter, darunter 39 Multiplexx- Kinos, mit 368 Leinwänden und rund 96.000 Plätzen. Rund 2.400 Beschäftigte arbeiten in dem Unternehmen.
Im Februar 1999 gründeten Cinemaxx AG und das größte belgische Kinounternehmen Kinepolis Group NV eine gemeinsame Betreibergesellschaft unter dem Namen Kinemaxx BV, an der sich beide mit jeweils 50 Prozent beteiligten. Erklärtes Ziel des Joint Ventures war die weitere "Erschließung des europäischen Kinomarktes". Bis 2002 wollte die Gesellschaft - mit der der größte Kinounternehmenverbund auf europäischer Ebene entstand - 20 gemeinsame Kinoneubauten eröffnen und betreiben. Doch Ende 2000 war es schon wieder aus mit der Liaison: Kinepolis trennte sich von Cinemaxx , die Verluste einfuhr. Der Konzern geriet immer mehr in Zahlungsschwierigkeiten. Die Ufa- Krise tat ihr übriges. Flebbe mußte Verhandlungen mit Vermietern und Filmverleihern aufnehmen, um einen Zahlungsaufschub zu erwirken. Auch bei der Dresdner Bank wurde er vorstellig, um seinen bisherigen Kreditrahmen von 40 Mio. Euro auf 56 Mio. Euro zu erhöhen.

Dabei konnte sich die Branche zunächst eigentlich nicht über Zuwachsraten beklagen: Allein für das erste Halbjahr 2000 errechnete die öffentlich-rechtliche Filmförderungsanstalt (FFA) eine Steigerung der Kinobesuche um rund 12 Prozent auf 74,6 Millionen BesucherInnen, was einem Plus von acht Millionen verkauften Kinokarten entsprach (eine Millionen Karten mehr als im Vergleichszeitraum 1998, in dem bereits Sensationsergebnisse eingespielt wurden). Die Umsätze stiegen laut FFA sogar noch etwas stärker - branchenweit um 13 Prozent auf 407 Millionen Euro. Allein der Cinemaxx AG wurden 18,3 Millionen - und damit rund 12 Prozent mehr - KinobesucherInnen zwischen Juli 1999 und Juni 2000 beschert - zusammen mit einem Gewinn von rund 1,58 Millionen Euro (1998: über eine Millionen Euro). Ein Grund zum Jammern? - Auf den ersten Blick nicht. Das Problem zeigte sich allerdings im Detail: Denn der Gesamtbesuch stieg nicht in dem Umfang wie der BesucherInnenzuwachs der neu eröffneten Multiplex- Kinos. Die Konkurrenz führte somit zu leeren Sälen in allen Kinos. Im zweiten Halbjahr 2000 mußte Cinemaxx deshalb, wie andere Betreiber auch, einen drastischen Geschäftseinbruch hinnehmen, dessen Ursache der starke BesucherInnenrückgang war. Die Kinokette verzeichnete im sogenannten "Rumpfgeschäftsjahr" 2000 (1.Juli bis 31.Dezember 2000) bei einem Umsatz von 84 Mrd. Euro einen Verlust von 26,8 Mio. Euro. Im Schnitt waren die Cinemaxx-Kinos nur zu 17,3% ausgelastet; die Gewinnschwelle liegt eigenen Angaben zufolge aber bei rund 19%.

Um die Profite weiterhin zu sichern, leiteten alle Kinogrößen Rationalisierungsmaßnahmen ein. Seit 2001 werden bereits geplante Bauvorhaben gestoppt und etliche Kinos geschlossen. Flebbe mußte seine Pläne, auch im Ausland zu expandieren, mit dem Verkauf seiner dortigen 20 Großkinos vorerst begraben. Des weiteren sollten Cinemaxx und Flebbes Zweitfirma Cxx- Edutainment, die u.a. das "Regenwaldhaus" in Hannover betreibt, fortan strikter Trennung unterliegen. Auch die Betreiberfirma Cxx, an der Flebbe allein 85% und Cinemaxx die übrigen 15% hielt, war im Juli 2001 in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Zudem versuchte Cinemaxx, mit weniger Personal, weniger Vorstellungen und weniger Service die Defizite zu senken und seine Marktführung in Deutschland wieder zu festigen. Mit der Ankündigung betriebsbedingter Kündigungen setzte das Unternehmen die Beschäftigten massiv unter Druck. V.a. die von StudentInnen besetzten Teilzeitstellen, aber auch jene von Angestellten in der Hamburger Verwaltungszentrale sollten wegrationalisiert werden. Ergebnisverbesserungen von über 10 Millionen Euro versprach sich der Konzern davon. Die Gewinnerwartungen mußten trotzdem verschoben werden, stieg die Verschuldung doch auch 2001 weiter an. Cinemaxx verfügt derzeit noch über 48 Kinos - darunter 36 Multiplex- Großkinos - mit 90.000 Plätzen.

Für die Branchengrößen ging es bald wieder aufwärts: Im ersten Quartal 2001 stiegen die BesucherInnenzahlen Angaben der Filmförderungsanstalt zufolge binnen Jahresfrist um 12,4% auf 24,4 Millionen, die Umsätze legten um 12,1% auf 266 Mio. Euro zu - und das bei niedrigeren Eintrittspreisen (minus 0,3%) und durchschnittlich 5,51 Euro Eintritt pro Karte. Vom BesucherInnenschwund waren hauptsächlich noch die herkömmlichen Kinos betroffen.

Neuer Branchenprimus
Längst den Rang abgelaufen, Innovationsgeber zu sein, hat der Cinemaxx AG die Kieft & Kieft GmbH der Geschwister Marlis und Heiner Kieft. Kieft & Kieft, an dem der australische Kinomarktführer Greater Union die Hälfte des Unternehmens hält, betreibt 57 Kinos in Deutschland, davon 22 Großkinos unter dem Namen CineStar. Das Lübecker Unternehmen rangelte lange Zeit mit der Münchner Kinowelt Medien AG und deren 18 Kinopolis- Palästen um den zweiten Platz in der Branche, den es nun hält. Der Konzern setzte dabei vor allem auf Marktnischen: So etablierte das Unternehmen seine Multiplex- Kinos verstärkt in kleineren Städten und in Ostdeutschland, wo die Betonklötze oft konkurrenzlos dastehen. Zeichen setzt Kieft & Kieft v.a. aber nur in einer Hinsicht: Das Unternehmen ist tarifungebunden und beschäftigt überwiegend SchülerInnen zu Dumpinglöhnen von rund fünf Euro die Stunde!

Hart und bescheiden
Die Konzerne haben im Zuge ihres Verdrängungswettbewerbs ein Überangebot an Kinoleinwänden bei stagnierenden BesucherInnenzahlen erzeugt. Der verschärfte Kampf um den Kino-Markt muß dennoch irgendwie finanziert werden. Bluten sollen dafür wieder mal die Beschäftigten!
Die Löhne in der Kinobranche, wo zahlreiche StudentInnen und Teilzeitkräfte arbeiten, liegen dabei schon weit unter dem Niveau vergleichbarer Großunternehmen. Dumpinglöhne zwischen 6,08 und 6,66 Euro die Stunde reichten bereits im Jahre 2000 kaum zur Existenzsicherung.
Trotzdem forderten die beiden Branchenriesen Cinemaxx AG und Ufa, die zusammen über 3.000 bis 4.000 Beschäftigte verfügen, in der bundesweiten Tarifrunde im Sommer/ Herbst 2000 die Auflösung der bisherigen Tarifstrukturen sowie die totale Flexibilisierung der Arbeitszeit und -organisation. Jede/r Beschäftigte sollte fortan - jederzeit und je nach Bedarf - in mehreren Bereichen eingesetzt werden können. Die bis dahin "getrennten" Tätigkeitsfelder Kasse, Einlasskontrolle und Platzanweisung sowie Gastronomie sollten auf diese Weise miteinander verschmelzen. Auch ein geteilter Dienst war dabei vorgesehen. Beispielsweise im Hinblick auf Planspiele, Kinos zu sogenannten "Event-Centern" mit einer Kernöffnungszeit von 8 bis 3 Uhr umzustrukturieren. Von besserer Auslastung der Spielstätten war die Rede, von Konferenzen und Aktionärsversammlungen am Vormittag, denen bis in den späten Abend das Filmprogramm und abschließend Nachtklub- Angebote folgen sollten.
Dazu sollten Überstunden- und Nachtzuschläge gekürzt, Arbeitsverträge befristet und die Niedriglöhne - damals knapp 767 Euro netto im Monat bei 40 Stunden die Woche - eingefroren werden. Lediglich der Job der FilmvorführerInnen - mit Stundenlöhnen zwischen 8,18 und 11,25 Euro schon die "SpitzenverdienerInnen" - sollte davon ausgenommen bleiben.
Die Beschäftigten konnten mit ihren Protesten und Warnstreiks derartige Pläne nicht gänzlich verhindern, sondern nur noch entschärfen. Denn die damalige IG Medien als Verhandlungsführerin signalisierte von Anfang an ihre Bereitschaft, auf die Forderungen der Unternehmensseite einzugehen. Sie bot selbst die Einführung einer Berufsgruppe "Servicefachkraft" an - mit der Einschränkung, daß der Wechsel zwischen den Tätigkeitsfeldern innerhalb eines Kinotages ausgeschlossen bleibt. Auch die Entgeltregelungen fielen so bescheiden aus, daß nicht von "Lohnerhöhungen" die Rede sein konnte.
Insgesamt hatten 350 Kino-Beschäftigte in Aachen, Berlin, Bielefeld, Bremen, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Hannover, Heidelberg und Wuppertal Ende Oktober 2000 rund 40 Kinos bestreikt. Etliche Vorstellungen fielen dadurch zwar aus oder begannen mit Verspätung, aber in einigen Kinos waren so viele StreikbrecherInnen anwesend, daß der Betrieb sogar störungsfrei laufen konnte. Streikposten wußten allerdings zu berichten, daß sich viele KinobesucherInnen mit den Streiks solidarisierten und aufs Programm verzichteten. Das besondere an dem Arbeitskampf war, daß er sich erstmals nur gegen bestimmte Kinobetreiber richtete: Ufa und Cinemaxx hatten Ende 1999 ihren Austritt aus dem Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) und den Eintritt in die Arbeitgeberverband Dienstleistungsunternehmen e.V. (ardi) erklärt. Bei ardi war bis dahin lediglich der Technische Überwachungsverein (TÜV) und ein Ingenieursverband organisiert, die mit der damaligen Gewerkschaft ÖTV Tarifverträge abgeschlossen hatten.

Noch mehr faule Kompromisse
Im Sommer 2001 einigten sich der HDF und die (nunmehr) Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) auf einen neuen Bundestarifvertrag Kino. Neben Lohnabkommen wurden darin auch einige Mantelregelungen neu gefaßt. Bei den Ergebnissen von einem "Durchbruch" zu sprechen, wie ver.di es tat, erscheint dabei vermessen, handelte es sich doch vielmehr um Angleichungen an bestehende Tarife, die bescheiden genug ausfielen. So wurde etwa eine Vereinbarung zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich getroffen, die in zwei Stufen (auf 39 Stunden ab 2003 und 38 Stunden ab 2004) erfolgen soll. Angehoben wurde auch der Urlaubsanspruch: Für unter 30jährige erhöhte sich der Mindestanspruch stufenweise von 2002 bis 2004 auf 5 Wochen, für über 30- bzw. 50-jährige auf 26 bzw. 28 Arbeitstage. Einige Änderungen wurden auch bei den lohnrelevanten Ortsklassenregelungen erzielt, über die seit einem knappen Jahrzehnt gestritten wird: In die bisherige Ortsklasse S, die nur sogenannte Erst- und Uraufführungstheater in Städten über 100.000 EW umfaßte, rückten nun aus der Ortsklasse B auch alle Kinocenter in anderen Orten auf, die über mehr als acht Leinwände (ursprüngliche Forderung: fünf) und 1.800 Sitzplätze (1.200) verfügen. Die Ortsklasse A, die Nachtspieltheater in Großstädten klassifizierte, wurde ganz aufgelöst und der S-Klasse zugeschlagen. Die Anpassung erfolgt(e) stufenweise über einen Zeitraum von drei Jahren - den gleichen Zeitraum, über den ver.di ein Lohnabkommen mit der HDF einging, das den Beschäftigten keinerlei Einkommensverbesserungen brachte (0% für Juli/August, 3% mehr ab 01.09. 2001 und je 2,0% ab 01.07.2002 und 2003).Die Jahresleistung für die Kinobeschäftigten stieg 2001 von bis dahin 383,47 auf 511,29 Euro, 2002 auf 525 und 2003 auf 540 Euro. Doch ver.di war noch zu weitergehenderen Zugeständnissen bereit: Für Teilzeitbeschäftigte, die nach dem 30.Juni 2001 eingestellt wurden, gibt es seitdem nur noch Mehrarbeitszuschläge, wenn sie über die tarifliche Wochenarbeitszeit hinaus Mehrarbeit leisten. Der Forderung der Arbeitgeber, befristete Arbeitsverträge nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse abschließen zu können, stimmte ver.di zwar nicht zu. Aber es ist fortan möglich, daß bis zu zehn Prozent der Beschäftigten (einschließlich der bis dahin bereits bestehenden Befristungsmöglichkeiten aus sachlichem Grund) in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen. Außerhalb einer Befristung aus sachlichem Grund ist eine Befristung nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge nur einmal zulässig.

Nichts genommen
Die letzte Verhandlungsrunde in der Branche, wieder von ver.di und ar.di gegen die Interessen der Beschäftigten von Cinemaxx und Ufa geführt, brachte dann tatsächlich einen "Durchbruch". Denn: Erstmals sollten die Beschäftigten nicht nur real auf Lohnerhöhungen verzichten, sondern auch noch zusätzliche Lohnabschläge hinnehmen! Die Arbeitgeberseite machte den Vorschlag, erst ab Januar 2003 wieder über Lohnerhöhungen verhandeln zu wollen. 2002 sollte nicht nur eine Nullrunde erfolgen, sondern die Beschäftigten sollten 5% ihres Einkommens abtreten und diese Summe erst nach 12 Monaten verzinst wiedererhalten. Im Gegenzug wollten die beiden Kinobetreiber eine nicht näher präzisierte Arbeitsplatzsicherung abgeben- allerdings auch nur für jene Kinos, die ohnehin nicht geschlossen werden sollten.
Dabei hatte sich schon seit dem letzten Abschluß zwei Jahre zuvor die Einkommenssituation für viele Beschäftigte, insbesondere die TeilzeitarbeiterInnen, drastisch verschlechtert. Für die Konzernrechnung hieß das hingegen, daß der Personalkostenanteil an den Gesamtkosten von über 20% im Jahre 2000 um etwa 3 Prozentpunkte gesenkt werden konnte. Dies wurde nur dadurch möglich, daß der Personaleinsatz in den Kinos stark eingeschränkt wurde - weniger Stunden und damit weniger Lohn. Das ganze ging natürlich mit einer extremen Leistungsverdichtung für die Beschäftigten einher. Die flexiblen Einsatzmöglichkeiten, die 2000 durch ver.di mitgestaltet wurden, sind ihrer Angabe zufolge durch Cinemaxx und Ufa "erheblich ausgenutzt" worden. Das gleiche gilt für Nachtzuschlagszahlungen, die dramatisch zu Lasten der Lohnabhängigen reduziert wurden. Dazu kommt, daß Cinemaxx - wie andere Unternehmen auch - in Ost und West ein unterschiedliches Tarifniveau aufrecht erhält: Die Tarifgehälter sind zwar einheitlich, aber in östlichen Kinostandorten erhalten Beschäftigte (aufgrund übertariflicher Zulagen im Westen) noch geringere Löhne. Was das für die Beschäftigten anderer Unternehmen bedeuten mag, wird wohl erst dann anschaulich, wenn man/frau bedenkt, daß der durchschnittliche Stundenlohn dabei noch immer etwas über dem anderer Kinounternehmen liegt!
Nach acht Monaten Verhandlung, die von Warnstreiks begleitet wurden, erfolgte im November 2002 ein Abschluß, der die vorhergehenden nur darin übertraf, daß er noch miserabler ausfiel, und die Angleichung an das (noch) schlechtere Tarifniveau des HDF manifestierte. Der zum 31.März gekündigte Entgelttarifvertrag wurde rückwirkend zum 1.April wieder in Kraft gesetzt, die Löhne und Gehälter ab 1.Januar 2003 um sage und schreibe 20 Cent die Stunde erhöht. Nicht umsetzen konnten die Arbeitgeber ihre Forderung nach Einschränkungen für bestehende Provisionsregelungen (Ansprüche darauf sollten für Ufa- Beschäftigte bei Eingruppierungswechsel in die "Servicefachkraft" verfallen). Die Anhebung der untersten Lohngruppe (Einlaß-, Platzanweisungs- und Verkaufspersonal) auf das Niveau des Kassenpersonals und die zusätzlichen Berufsjahresstufen (gefordert wurden jeweils eine weitere Jahresstufe für die VorführerInnen ab 10 Jahren, für alle anderen ab 5 Jahren) wußte ardi allerdings ebenso zu verhindern wie die Umsetzung der Forderung nach 60 Cent mehr Lohn. Damit lag der Abschluß unterhalb derer anderer Branchen. Und das bei einer Laufzeit von 22 Monaten (bis zum 31.Januar 2004)!

Nur mutig gestritten!
Zur Zeit gibt es zwei (ver.di-) Kino-Tarifwerke: Eines mit dem HDF (für die Unternehmen UCI, Yorck- Kinos und viele andere) und eines mit ardi (für die Unternehmen Cinemaxx und Ufa). Daneben gibt es Unternehmen ohne geltenden Tarifvertrag, wie z.B. die Multiplex-Kette CineStar, an deren Personalkosten und -struktur sich auch alle anderen Branchengrößen orientieren wollen.
Den reformistischen Gewerkschaften galt das Kino- Gewerbe wegen der vielen studentischen Hilfskräfte und der hohen Personalfluktuation lange Zeit als "schwer organisierbar". Die Tarifrunde 2000 hat jedoch gezeigt, daß die Streikbereitschaft unter den Beschäftigten insgesamt stark gestiegen ist und sich ein größeres Selbstvertrauen unter ihnen breit machte. Auch studentische Hilfskräfte konnten mobilisiert werden. Die desaströse Streiktaktik von ver.di, die Warnstreiks bereits wieder aussetzt, sobald die Arbeitgeberseite auch nur ihre Bereitschaft signalisiert, "verhandeln" zu wollen, konnte den Konzernen bisher dennoch die gewünschten Ergebnisse sichern.
Organisationen wie ver.di, die auf Bündnisse mit Arbeitgebern setzen, haben einmal mehr bewiesen, daß (auch) in der Kino- Branche eine kämpferische Selbstorganisierung von Lohnabhängigen dringend vonnöten ist. Um so erfreulicher ist es deshalb, daß sich in den letzten Jahren auch kämpferische Gewerkschaften wie das Kultursyndikat der FAU Berlin entwickelt haben, die sich (nicht nur) im Kino- Gewerbe einmischen wollen. Im Sommer letzten Jahres haben die Berliner KollegInnen beispielsweise eine Untersuchung angestrengt, um mehr über die Arbeitsbedingungen von FilmvorführerInnen, Putz- und Servicekräften in den Kinos der Metropole zu erfahren. Das Ziel soll letztendlich sein, die Isolation am Arbeitsplatz zu überwinden, sich mit anderen Lohnabhängigen auszutauschen und vielleicht auch gemeinsame Aktionsmöglichkeiten zu entwickeln. - Eine Initiative, die hoffentlich Schule machen wird!

Letzte Meldung:

Die Luebecker Firma Kieft & Kieft hat sich nunmehr an die Branchenspitze gesetzt und ihren ärgsten Konkurrenten, Cinemaxx, auf den zweiten Platz verwiesen. Mit der Übernahme von 32 der 37 Haeuser der kriselnden Ufa-Gruppe zum 1.April wird das das Unternehmen künftig über insgesamt 96 Standorte mit 145.000 Sitzplätzen und 240 Millionen Euro Umsatz verfügen.

 

Fussnoten
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10