Kaum Überstunden im Freizeitpark? Die amtliche Statistik und die Realität In letzter Zeit geistert wieder häufiger die Problematik der Überstunden durch die Medien. Vor allem Vertreter der DGB-Gewerkschaften, aber auch der Regierung der "neuen Mitte", bemühen die amtliche Statistik, um nachzuweisen, daß – bei etwas gutem Willen aller Beteiligter - mittels Überstundenabbau soundsoviele neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Völlig unkritisch werden die offiziellen Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit verwendet – kein Wunder, daß Vertreter der Arbeitgeberverbände erfolgreich auf die Unerheblichkeit der "durchschnittlich 20 Minuten Mehrarbeit pro Beschäftigten und Arbeitstag" verweisen können. Grund genug also, die Situation etwas näher zu beleuchten. Gemäß der Statistik des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) beträgt die Anzahl der geleisteten Überstunden in Deutschland, betrachtet für den Zeitraum von 1991 bis heute, durchschnittlich rund 1,9 Mio. pro Jahr1. Dieser Wert schwankt entsprechend dem Konjunkturverlauf. Im Krisenjahr 1993 war er mit knapp 1,8 Mio. am geringsten, in den beiden darauffolgenden Jahren stieg er auf etwas über 2 Mio. an. Seitdem ist die Anzahl wieder gesunken und hat sich bei etwas mehr als 1,8 Mio. Stunden eingependelt. Umgerechnet auf die Anzahl der Überstunden pro Beschäftigten und Jahr ergibt sich ein Wert um die 60 Stunden. Dieser variiert in den unterschiedlichen Erwerbszweigen. Die Bandbreite reicht von 24h bei den Staatsangestellten und 100h im Baubereich2. Im längerfristigen Vergleich ist die Anzahl der geleisteten Überstunden pro Erwerbstätigen seit Beginn der 70er Jahre kontinuierlich gesunken. So wurden 1970 etwa 160 Überstunden pro Beschäftigten geleistet, Mitte der 80er Jahre noch etwa 70 Stunden. Soweit die offizielle Statistik. Es wird somit die Argumentation der Arbeitgebervertreter unterstützt, daß die Situation durchaus nicht so schlimm sei, wie oft behauptet wird. Ein gewisses Maß an Überstunden sei einfach notwendig, um krankheitsbedingte Ausfälle oder kurzfristige Auftragsspitzen bewältigen zu können. Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen durch Abbau von Überstunden ist daher eine Illusion. Die Gewerkschaftsvertreter kommen dieser Argumentation dann meist entgegen, indem sie ihre Forderungen dementsprechend nach unten korrigieren und Zugeständnisse bezüglich der weiteren Flexibilisierung der Arbeitszeiten machen. Daß die hochamtlich verkündeten Zahlen aber nur ein stark verzerrtes Bild der Wirklichkeit darstellen könnten, kommt den Genossen Hauptamtlichen nicht in den Sinn. Vergleicht mensch diese nämlich mit seinen/ihren eigenen Erfahrungen, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Aus uns vorliegenden betriebsinternen Statistiken der deutschen Vertriebsabteilung eines internationalen Konzernes ergeben sich beispielsweise für die letzten 3 Jahre durchschnittlich 15,1% Überstunden. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 37h sind wir damit bereits bei rund 5,6 Überstunden pro Woche3. Ein Wert, der rund 4mal so groß ist, wie der offizielle Durchschnittswert! Aber auch eine betriebsinterne Statistik hat so ihre Tücken. Aufgenommen werden natürlich nur die den Mitarbeitern vergüteten Überstunden. So werden erfahrungsgemäß längst nicht alle Überstunden gemeldet. Einerseits haben viele Mitarbeiter Angst, mit zu vielen bezahlten Überstunden negativ auf sich aufmerksam zu machen, andererseits werden beispielsweise oft die zustehenden Pausen durchgearbeitet oder aber über den gesetzlich bzw. tariflich maximal festgelegten Zeitraum hinaus malocht. Diese Zeiten werden dann von der Geschäftsleitung zumeist mit Hinweis auf die Vorschriften nicht anerkannt. Mit Gegenwehr braucht ja angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt kaum gerechnet werden. Ebenso wie in der Krankenstatistik, nach der die Anzahl der kranken Arbeitnehmer in der letzten Zeit rückläufig ist, kann davon ausgegangen werden, daß die Zahl der ohne Bezahlung verrichteten Überstunden in Abhängigkeit zur Höhe der Arbeitslosenquote steigt. Ein Indiz dafür ist beispielsweise die unterschiedliche Höhe der Überstunden in West- und Ostdeutschland. Laut Statistik werden im Westen 62h, im Osten hingegen nur 42h Mehrarbeit pro Jahr erbracht, obwohl in der Praxis die Verhältnisse eher umgekehrt sind. Verfälschend wirkt weiterhin die z.B. nach Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie zulässige Möglichkeit einer regelmäßig auf 40 Wochenstunden verlängerten Arbeitszeit für einen bestimmten Prozentsatz der Angestellten. Dieser beträgt je nach Tarifgebiet 13-18% und ist im o.g. Beispiel voll ausgeschöpft worden. Komplett aus der Überstundenstatistik fallen dann noch die übertariflich vergüteten Angestellten heraus, ebenso wie die mit einer Umsatzpauschale prämierten Akquisiteure, deren Arbeitszeit de facto keinerlei festen Abgrenzung unterliegt und meist die der Innendienstmitarbeiter noch übertrifft.4 Noch perfider ist die Erfindung der sogenannten "Vertrauensarbeitszeit". Jeder Angestellte kann kommen und gehen wann er will – zumindest, wenn er "seine" Arbeit geschafft hat. Die Folge ist jedoch oft ein innerbetrieblicher Wettbewerb, wer am längsten auf Arbeit bleibt. Denn jeder, der es sich leisten kann, pünktlich zu gehen, ist tendenziell überflüssig. Wenn es jedoch an die Bezahlung geht, ist jeder selbst Schuld, der seine Arbeit nicht in der "normalen" Arbeitszeit schafft. In der Praxis wird so jegliche Überstundenbezahlung vermieden. Damit aber noch nicht genug. Das angeführte Beispiel ist eines aus einem tarifgebundenen Betrieb. Schauen wir uns die immer zahlreicheren Firmen an, die keinerlei Tarifbindung unterliegen5, dann kommen noch ganz andere Methoden zum Vorschein. Eine große Anzahl der Angestellten bekommt generell keine Überstunden bezahlt, eine Tendenz, die sich langsam auch im Bereich der Lohnempfänger andeutet. Die Anzahl der dort unentgeltlich geleisteten Überstunden ist nur schwer zu schätzen. Man kann aber davon ausgehen, daß diese noch höher als die insgesamt geleisteten in den tarifgebundenen (Groß-)Betrieben liegt. Oft werden auch die Überstunden - zumindest teilweise – schwarz vergütet. All diese geleistete Mehrarbeit taucht selbstverständlich in keiner Statistik auf. Auch wenn es Beschäftigungszweige gibt, wie beispielsweise im Schichtdienst oder in der öffentlichen Verwaltung, wo verhältnismäßig wenig Überstunden geleistet werden, kann man davon ausgehen, daß die offiziell verkündeten Zahlen kaum Bezug zur Wirklichkeit haben. Das Gefasel vom kollektiven Freizeitpark, den ständig sinkenden Wochenarbeitszeiten und den vielen Urlaubs- und Feiertagen spricht der Realität Hohn. Die Tendenz in den letzten Jahren geht – nicht nur in Deutschland – immer mehr in Richtung einer Verlängerung der Arbeitszeit.
Marginalien Selbst schuld! Und jetzt wird kräftig
in die Hände gespuckt... ...wir steigern das Bruttosozialprodukt... ...bis zum bitteren Ende? |
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