Nichts ist unmöglich?
Die neuen Arbeitsverhältnisse zwischen Toyotismus und Prekarisierung
Erschienen in: Direkte Aktion Nr. 131, Januar/Februar 1999
Ausgedient: Das Taylorsystem
Das tayloristische System der "wissenschaftlichen
Betriebsführung" war das prägende Modell der Arbeitsorganisation in den Industrieländern
in West und Ost vom Anfang des Jahrhunderts bis in die 80er Jahre hinein.
Der Name geht auf seinen Begründer, Frederick Windsor Taylor (1856-1915),
zurück. Dieser begann um die Jahrhundertwende die Arbeitsabläufe der ArbeiterInnen
in den Fabriken und Werkstätten zu untersuchen und fand heraus, daß mittels
Zerstückelung des Arbeitsprozesse in einzelne Arbeitsschritte und der "wissenschaftlichen"
Neuzusammensetzung des Arbeitsablaufes, ein hoher Produktivitätsgewinn zu
erzielen ist.
Die weltweite Durchsetzung dieses Systems der Arbeitsorganisation war aber
vor allem eine Reaktion der Kapitalisten auf die gewachsene Macht der Arbeiter
über den Produktionsprozeß, die damit einer ungehinderten Ausdehnung der Produktion
und somit der Profite im Wege standen.
Erstmal umfassend angewandt wurde dieses neue System extremer Arbeitsteilung
an den Fließbändern in der Automobilfertigung Fords in den USA der 20er Jahre.
So hat sich heute als Bezeichnung für die Periode der kapitalistischen Entwicklung
bis in die 70er Jahre auch der Begriff des Fordismus eingebürgert.
Die wesentlichen Kennzeichen des Taylorismus (in den verschiedenen Ländern
unterschiedlich stark ausgeprägt) sind dabei folgende:
Begleitet war das ganze System durch ein relativ hohes Niveau staatlich garantierter sozialer Absicherung und ein gleichsam hohes Maß der Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen. Der keynesianistische "Wohlfahrtsstaat" sorgte mit einer nachfrageorientierten, regulierenden Politik und einer hohen Staatsnachfrage, vorrangig über die Rüstung, für ein relativ beständiges Wachstum der Wirtschaft. Die Gewerkschaften handelten mit den "Arbeitgebern" regelmäßig neue Tarifverträge aus, die den Arbeitenden ein nahezu ständig steigendes Einkommen bei langsam sinkenden Arbeitszeiten garantierten.
Krise des Fordismus
Anfang der 70er Jahre begann sich abzuzeichnen, daß das bisherige System der Kapitalverwertung in eine Krise geraten war. Einerseits stiegen die Profite immer langsamer, andererseits begann sich das Phänomen der Massenarbeitslosigkeit nach der Ölkrise 1974 in allen westlichen Ländern auszubreiten. Die herkömmlichen Rationalisierungsstrategien und die beständige Erhöhung des Ausstoßes der Produktion waren an ihre Grenzen gestoßen. Das war das Ergebnis einer zunehmenden Sättigung der Märkte einerseits, wie auch des wachsenden Widerstandes der ArbeiterInnen gegen die sich verstärkende Monotonie der Arbeit andererseits.
Von Japan lernen
Mit der Ausbreitung der neoliberalistischen
Wirtschaftsdoktrin begannen maßgebliche Kreise an den Schaltstellen der Industrie,
sich auch nach neuen Konzepten für die Reorganisation der Produktion mit dem
Ziel der (Wieder-) Ankurbelung der Profiterwirtschaftung umzuschauen. Fündig
wurden sie dabei in Japan, einem Land, das vom Rückgang des Wirtschaftswachstums
und Massenarbeitslosigkeit scheinbar kaum betroffen war.
Dort wurde bereits kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und wiederum in
einer Fabrik der Automobilindustrie, dem Toyota-Konzern, die später nach diesem
so benannte Produktionsorganisation des Toyotismus eingeführt. Die von E. Toyoda
und T. Ohno entwickelte Konzeption basiert auf der in Japan, zumindest in den
Großunternehmen, verbreiteten Identifikation der Beschäftigten mit "ihrem" jeweiligen
Unternehmer. Diese wiederum hat ihre Grundlage, neben kulturell-ideologischen
Aspekten, vor allem in der praktisch lebenslangen Arbeitsgarantie für die ArbeiterInnen
und einer Reihe von sozialen Vergünstigungen, wie Werkswohnungen, Altersversorgung,
Unterstützung in Notlagen etc., die ihnen i.d.R. zugestanden werden (bzw. wurden)
sowie der bedeutenden Rolle, die die großen Familienunternehmen im öffentlichen
Leben ganzer Regionen spielen.
Das zentrale Element des toyotistischen Modells der Produktionsorganisation
ist der Übergang von dem fordistischen Prinzip der Skalenökonomie1
zu einem Modell der flexiblen, dezentralisierten und schlanken Fertigung. Mit
der (Re-) Integration von Planung, Arbeitsvorbereitung und Qualitätskontrolle
in den Fertigungsablauf und der Produktionsorganisation in Gruppen und Teams
wird die Intensität der Arbeitsteilung reduziert. Durch eine ständige, fertigungsbegleitende
Verbesserung des Produktionsprozesses (Kaizen*) soll eine Verringerung der Stillstandszeiten
erreicht werden. Das Ziel ist letztendlich, unter Nutzung bisher weitgehend
brachliegender Kreativitätspotentiale der ArbeiterInnen die Produktionsabläufe
und -strukturen radikal zu entschlacken und somit eine entsprechende Erhöhung
des bis dato gesunkenen Produktivitätswachstums zu realisieren.
Neue Technologien...
Eine wichtige Grundlage für die Durchsetzung der neuen Produktionsorganisation sind die neuen Informations- , Kommunikations- und Transporttechnologien. Mit dem Fortschreiten der Mikroelektronik war die Basis für immer komplexere Systeme der Prozeßautomatisierung und Datenverarbeitung gegeben. Gerade die monotonen Arbeitsabläufe der tayloristischen Fließfertigung konnten nun schrittweise durch Automaten und Roboter ersetzt werden. Computer erhöhen die Produktivität der Verwaltungen und bilden zusammen mit den neuen Möglichkeiten der Datenfernübertragung die Voraussetzung für das System der Lean Production* und des Lean Management*. Moderne Werkzeugmaschinen ermöglichen eine kurzfristige Umstellung der Produktion und damit eine flexiblere und termingerechte Herstellung von den detaillierten Wünschen des Kunden entsprechenden Produkten, ggf. auch in kleinsten Fertigungslosen.
...und Unternehmensstrukturen
Mittels Verringerung der Fertigungstiefe
und Konzentration der Produktion auf wenige, hochprofitable Kernbereiche (Profitcenter)
soll eine weitere Steigerung der Produktivität erreicht werden. In der Praxis
bedeutet das einerseits die Ausgliederung von bisher ins Unternehmen integrierten
Dienstleistern, wie z.B. Kantine, Putzkolonne, Werksschutz oder auch EDV-Abteilungen
sowie andererseits die Auslagerung von als weniger wichtig erachteten Fertigungsabschnitten
in externe Zulieferbetriebe (Outsourcing). Gleichzeitig werden die verbliebenen
Abteilungen in betriebswirtschaftlich selbständige Einheiten umgewandelt, die
in innerbetrieblicher sowie direkter Konkurrenz zu Fremdfirmen ihre Profitabilität
immer wieder aufs Neue nachweisen müssen.
Diese Dezentralisierung der Produktionsstrukturen geht einher mit der Tendenz
einem zunehmenden und immer rasanter verlaufenden Prozeß der Kapitalkonzentration.
Die entstehenden sogenannten "Benettonschen Netzwerkunternehmen"2
(K.H. Roth) decken in ihrer Gesamtheit immer umfassendere Produktspektren ab,
basieren aber überwiegend auf einer Netzwerkstruktur von immer mehr kleinen
- formal selbständigen - Zulieferbetrieben und Dienstleistungsunternehmen.
Arbeitsverhältnisse
Die bisher aufgeführten Veränderungen
der Produktionsstrukturen und Arbeitsorganisation haben natürlich Auswirkungen
auf die Arbeitsverhältnisse. Das System der hierarchischen Kontrolle, welches
in der tayloristischen Fabrik nahezu allumfassend war, soll nun auf Grund dessen
hohen Maßes an Trägheit und Informationsverlust eingeebnet werden. Neben der
verringerten Zahl an Hierarchieebenen wird auch eine Verlagerung von Entscheidungsbefugnisse
an die Basis propagiert. Die Eigeninitiative soll nicht länger als Störgröße
- wie im stark normierten und reglementierten tayloristischen System - betrachtet,
sondern als eine entscheidende Ressource genutzt werden. Voraussetzung für diese
Ausnutzung bislang verborgen gebliebener Potentiale der Beschäftigten ist aber
die völlige Identifikation jener mit dem jeweiligen "Arbeitgeber". Eine wichtige
Rolle spielt dabei das Konzept der corporate identity*, mit Hilfe dessen die
Angestellten auf die Firma eingeschworen werden sollen. Dem gleichen Ziel dienen
auch sogenannte Motivationszirkel und innerbetriebliche Kaderschulungen, in
denen vor allem außerberufliche Qualifikationen vermittelt werden sollen. Stichworte
wie "soziale Kompetenz", "Teamfähigkeit", "Frustrationstoleranz" oder "Kommunikationsvermögen"
sind nicht nur dort, sondern auch zunehmend bei Einstellungsgesprächen beliebte
Themen. Zusätzlich spielen bei der Abrichtung der Angestellten zum unternehmerischen
Denken verschiedene Systeme der Gewinn- oder Eigentumsbeteiligung eine wichtige
Rolle.
Die andere Seite der Medaille ist das System des Managements by stress. Unter
diesem Begriff versteht man die infolge eines massiven Arbeitsplatzabbaus gewachsene
Arbeitsbelastung für die Restbelegschaft, die diese zwingt, ständig nach effektiveren
Methoden der Arbeitsorganisation zu suchen, um die gestellten Ziele überhaupt
bewältigen zu können. Eine Kontrolle der Einhaltung der vorgegebenen Ziele erfolgt
hier nicht mehr durch separate Strukturen, sondern durch die Gruppe oder das
Team selbst. Diese ist unter den gegebenen Bedingungen in der Regel schärfer
als die durch Vorgesetzte. Die psychische Belastung, die Angst vor dem sozialen
Abstieg, steigt enorm. Weiterhin wird mit dem Konzept der atmenden Fabrik eine
immense Flexibilisierung der Arbeits- und Verfügbarkeitszeiten erreicht, indem
diese dem Auslastungsgrad der Maschinen angepaßt werden. In Zeiten großer Nachfrage
werden Überstunden geleistet, ohne die entsprechenden Zuschläge dafür zu erhalten,
die dann in Zeiten schlechter Auslastung abgebummelt werden müssen. Das Ergebnis
ist eine bedeutende Einsparung für die Unternehmer: einmal durch die wegfallenden
Zuschläge, ein zweites Mal durch die Senkung der Leerlaufzeiten.
Das System des Toyotismus insgesamt ist also nicht mehr durch Rationalisierungsschübe
gekennzeichnet, sondern stellt eine permanente Rationalisierung, "die Radikalisierung
des Taylorismus" bzw. einen "potenzierten Fordismus" (Revelli) dar.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Nun hat aber die gesamte Konzeption
der toyotistischen Arbeitsorganisation einen weiteren Haken. Sie basiert ja
darauf, daß diese Arbeitsorganisation sich in der Regel auf die Kernbelegschaften
der modernen Technologie-Zentren zumeist in den entwickelten Industriestaaten
beschränkt. (Und auch hier stehen wir erst am Anfang der Entwicklung, die m.E.
erst in den letzten 2-3 Jahren spürbar an Boden gewonnen hat.)
Der weitaus überwiegende Teil der ehemals in den fordistischen Großunternehmen
Beschäftigten sieht sich einer Tendenz der Prekarisierung, d.h. der Umwandlung
der ehemals relativ gesicherten Arbeitsverhältnisse in weitgehend ungesicherte
und ungeschützte, ausgesetzt. Dazu zählen solche Arten von Beschäftigung wie
Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, schlecht oder gar nicht sozial abgesicherte
Teilzeitarbeit, Scheinselbständigkeit, Arbeit auf Abruf etc. Verschärfend wirkt
noch, daß diese Jobs auch deutlich schlechter bezahlt werden.3
Es kommt zu einem Anwachsen der Schicht der working poor, die gezwungen sind,
sich ein zusätzliches, meist illegales Einkommen zu beschaffen.
Nach bisherigen Beobachtungen scheint sich eine Umkehrung im Verhältnis von
bisher typischen und atypischen Arbeitsverhältnissen (K.H. Roth) anzudeuten.
Das bisher für die Mehrheit der Arbeitenden geltende Normalarbeitsverhältnis
einer rechtlich und sozial gut abgesicherten Vollzeitbeschäftigung mit i.d.R.
nur sehr seltenem Wechsel der Arbeitsstelle wird zunehmend durch bisher nur
in Randbereichen anzutreffenden Beschäftigungsformen verdrängt.
Es wächst die Zahl derer, die gezwungen sind, sich mit Gelegenheitsjobs, Schwarzarbeit
durchzuschlagen. Gleichfalls wächst der Druck auf die steigende Zahl von Langzeitarbeitslosen,
die mit Hilfe von sogenannten "Hilfe zur Arbeit"-Projekten oder Ernteeinsätzen
in der Landwirtschaft mittels teilweisen oder gar vollständigen Entzugs der
Unterhaltszahlungen zur Arbeit gezwungen werden sollen.
Als neue Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt werden hingegen
neue Betätigungsfelder im Dienstleistungssektor, wie z.B. "personenbezogene
Dienstleistungen"4 offeriert.
Licht am Ende des Tunnels?
Letztendlich ist derzeit zwar abzusehen,
in welche Richtung die Entwicklung in den nächsten Jahren gehen wird, welche
Ausmaße die Prekarisierung und Verarmung annehmen werden, ist aber noch ungewiß.
Das hängt schließlich auch maßgeblich davon ab, in wieweit diese vom Unternehmerlager
beförderte Entwicklung von den Betroffenen hingenommen wird oder aber sich ein
breiter Widerstand entwickelt.
Für dessen Formierung aber ist die Berücksichtigung der Wandlungen in den Arbeitsverhältnissen
von entscheidender Bedeutung. Folgende wesentlich veränderte Bedingungen sind
dabei zu beachten:
der zahlenmäßig starke Rückgang der klassischen Massenarbeiter der fordistischen
Fabrik,
International ist zu beobachten,
daß sich auch in den Metropolenstaaten Elemente der dritten Welt etablieren.
Umgekehrt ist das eher weniger der Fall. In den Ländern der Peripherie hingegen
entstehen immer mehr Produktionsinseln. In sogenannten Schwitzbuden schuften
nahezu völlig entrechtete Arbeiterinnen unter frühtayloristischen Bedingungen
für den Weltmarkt. Eine wachsende Bevölkerungsmehrheit bleibt aber selbst von
diesen "Segnungen" des Kapitalismus ausgeschlossen und ist gezwungen, sich von
Brosamen und den Abfällen der Reichen - auf legale oder illegale Weise - zu
ernähren.
Eine weltweite Angleichung der Klassenstrukturen und Lebensverhältnisse zu prognostizieren,
wie das bspw. K.H. Roth tut, ist daher m.E. nicht realistisch. Ein zumindest
halbwegs befriedetes Hinterland in einem Zentrum der Triade wird auch in Zukunft
von Bedeutung für die Führungseliten der Konzerne und Politik sein. Daß die
Lebens- und Arbeitsbedingungen sich deutlich verschlechtern werden, ist abzusehen,
eine massenhafte Verelendung, wie sie in der dritten Welt vorherrschend ist,
ist in den Metropolenstaaten sicher so nicht gewünscht, weil die damit verbundenen
Risiken für die Kapitalverwertung einfach zu hoch wären.
Ein neues revolutionäres Subjekt?
Ausgehend von den obigen Überlegungen
können wir uns nun auf die Suche nach potentiellen TrägerInnen für unsere Ideen
machen. Eine klare Trennung in bestimmte Schichten innerhalb der Lohnabhängigen
wird dabei immer schwieriger. Teilweise reicht auch die Unterscheidung zwischen
Lohnabhängigen und Selbständigen (Unternehmern also) nicht mehr aus. Einerseits
gibt es eine steigende Zahl von sogenannten Scheinselbständigen und Kleinstbetrieben,
bei denen die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse auf den ersten Blick
nicht mehr eindeutig zuzuordnen sind. Andererseits haben die verbliebenen Kernbelegschaften
der toyotistischen Betriebe teilweise über Gewinn- und (marginalen zwar, aber
immerhin) Unternehmensbeteiligungen am Eigentum an Produktionsmitteln Anteil.
Das hat natürlich Auswirkung auf deren Bewußtsein.
Gerade bei diesen Kernbelegschaften ist m.E. davon auszugehen, daß diese mittelfristig
für eine revolutionäre Veränderung nur sehr schwer zu gewinnen sein werden5.
Zwar wächst auch bei denen der Arbeitsdruck, verbunden mit der ständig latenten
Drohung des sozialen Abstieges, gleichzeitig schreitet aber deren ideologische
Gleichschaltung und psychische Unterordnung unter die Ziele der Unternehmer
voran. Es kann daher eher von der Herausbildung einer neuen Arbeiteraristokratie
ausgegangen werden, die leichter für rechte Ideologien empfänglich ist6.
Allerdings ist ein völliges Ausschalten des selbständigen und kritischen Denkens
gerade bei zumindest einem Teil dieser Gruppe nicht möglich, da ja die Entwicklung
von schöpferischer Kreativität im Sinne der ständigen Optimierung der Produktion
erwünscht ist und was sich u.U. in Zukunft auch einmal gegen die Unterordnung
unter betriebswirtschaftliche Logiken wenden kann.
Aber auch bei der großen Masse der mehr oder minder prekär Beschäftigten oder
ganz aus dem Produktionsprozeß Ausgeschlossenen erscheint die Organisation von
Widerstand derzeit alles andere als erfolgversprechend. Zunehmende Individualisierung/Entsolidarisierung
und eine nahezu vollständig verloschene kämpferischen Traditionen in Ost- wie
Westdeutschland in der letzten Generation von Lohnabhängigen sowie die scheinbare
Alternativlosigkeit des kapitalistischen Systems tragen eben auch nicht gerade
zur Entwicklung eines kollektiven und kämpferischen Selbstbewußtseins bei. Hinzu
kommt der verhängnisvolle Einfluß eines gerade auch durch die alte Arbeiterbewegung
beförderten Arbeitsethos', der gerade auch der Mobilisierung der Erwerbslosen
im Wege steht.
Wichtig ist es daher, jede Möglichkeit zu nutzen, Widerstand in den uns am meisten
betreffenden Lebensbereichen7 zu entwickeln, auch
wenn das Ergebnis erstmal noch so klein erscheint. Dazu sollten wir uns wieder
auf die traditionell syndikalistischen Kampfformen wie Bummelstreiks, Sabotage,
Boykotts... besinnen. Im Unterschied zu den etablierten Gewerkschaften darf
nicht der Kampf um ein größeres Stück vom Kuchen im Mittelpunkt stehen, sondern
der gegen Arbeitsverdichtung, Verlängerung der Arbeitszeiten, gegen die Zerstörung
des Lebens durch die Arbeit ebenso wie durch die Arbeitslosigkeit.
Gerade die erwähnte Achillesferse der Transport- und Kommunikationswege kann
ein entscheidendes Druckpotential für die von Erwerbstätigkeit Ausgeschlossenen
werden. Hier ergeben sich auch Ansatzpunkte8 für
einen gemeinsamen Kampf mit denen in diesen Bereichen Beschäftigten.
Ebenso wichtig wäre es, Organisations- und Kampfmöglichkeiten im Bereich der
Leiharbeit auszuloten. Letztendlich bleibt uns nichts anderes übrig, als verschieden
Wege auszuprobieren und dabei alle unsere bisherigen Ansätze ausnahmslos zu
überdenken und ggf. nach neuesten Erkenntnissen und Erfahrungen zu revidieren.
In diesem Prozeß können dann auch wieder Elemente einer neuen Utopie entwickelt
werden, die Möglichkeiten einer Gesellschaftsorganisation ohne Markt, Kapital
und stumpfsinniger (Lohn-) Arbeit aufzeigt.
Glossar
Autonomation
Zusammensetzung aus den Wörtern Automatisierung und autonom. Bezeichnung für
die Fähigkeit einer Maschine, Fehler im Prozeß selbst zu erkennen und diesen
selbständig anzuhalten. Damit kann Aufsichtspersonal eingespart werden, was
z.T. eine beträchtliche Erhöhung der Produktivität bedeutet.
Corporate Identity
Neben einem werbewirksamen und einheitlichen öffentlichen Erscheinungsbild einer Firma ist die Hauptaufgabe des Konzeptes der corporate identity, die Schaffung einer sog. Unternehmenskultur als Basis einer Identifikation der Mitarbeiter mit der Unternehmensphilosophie. Damit soll ein hohes Maß an Motivation erzeugt werden, um die gewünschten kreativen Potentiale abschöpfen zu können.
Just-in-time
Organisationsprinzip der produktionssynchronen Beschaffung von Zulieferkomponenten bzw. bedarfsgerechter Lieferung von Produkten auf Basis integrierter Informationsverarbeitung. Ein damit verbundener Effekt ist eine drastisch verringerte Lagerhaltung.
Kaizen
Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung während des laufenden Produktionsprozesses. Damit kann ein Großteil der Kosten für Forschung und Entwicklung eingespart werden, die wiederum einen hohen Prozentsatz (von bis zu 75%) an den Gesamtkosten eines Produktes betragen. (Hierzulande auch mit KVP = Kontinuierlicher Qualitätsverbesserungsprozeß übersetzt)
Kanban-System
Das Kanban-System ist ein in Japan entwickeltes System der dezentralen Produktionsprozeßsteuerung und bedeutet praktisch die Übertragung des Just-in-time-Prinzips auf allen Fertigungsstufen der Produktion. Die Bezeichnung stammt von der gleichnamigen "Kanban"-Karte, mit Hilfe derer in Kürze benötigtes Material aus der vorgelagerten Fertigungsstufe angefordert wird.
Lean Management
Anwendung des Prinzips der LP auf die Managementebene mittels Verringerung der Hierarchieebenen im Unternehmen.
Lean production (LP)
In den 80er Jahren im MIT (Massachusetts Institute of Technology) geprägter Begriff für die westliche Umsetzung des Toyotismus. Die Schlanke Produktion beinhaltet die "Steigerung der Produktivität durch ein besseres Ausnützen der zur Verfügung stehenden Ressourcen an Menschen, Maschinen und Raumkapazität". In der Praxis bedeutet das: "weniger Personal, kleinere Produktionsflächen, geringere Investitionskosten, kürzere Produktionszeiten und geringere Lagerbestände". (Ribolits)
Prekarisierung
Ableitung von prekär = gefährlich, risikoreich, (unsicher) auf der Kippe stehend. Bezeichnung für die Tendenz der (rechtlichen) Deregulierung der Arbeitsverhältnisse bei gleichzeitigem Abbau von Sozialleistungen mit dem Ziel der Verschärfung der Arbeitsintensität und des Zwangs zur Arbeit.
Worker Displacement
Ersatz von Arbeitskräften durch Maschinen.
Fussnoten
1 Das sogenannte Prinzip des "economics of scale", d.h. die relative Verringerung der Stückkosten durch Erhöhung des Produktionsausstosses.
2 Die Firma Benetton spielte in Italien eine Vorreiterrolle. Diese Firma produziert de facto keinerlei Produkte mehr, sondern dient nur noch als Verwaltungs- bzw. Vermarktungszentrum. Alle unter dem Logo Benetton vertriebenen Kleidungsstücke werden in kleinen Zuliefererbetrieben hergestellt.
3 In den USA bringt eine neue Beschäftigung nach Verlust des Arbeitsplatzes im Durchschnitt 14% weniger Gehalt als die alte. Ein Drittel (!) aller Arbeiter muß mit einem Jahreseinkommen von unter 15.000$ auskommen. Quelle: Die Zeit Nr.49/98
4 So in der aktuellen Studie "Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland - Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungslage" der Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen. Dort werden allen Ernstes "Dienstleisungsideen wie 'Service rund ums Haus' oder 'Tortenservice' " bzw. "einfache Freizeit- und Lifestyle-Dienste" als Beschäftigungsmöglichkeiten der Zukunft angepriesen.
5 Anders sehen das bspw. viele traditionell-marxistische Gruppen, die immer noch in den Kernbelegschaften das revolutionäre Subjekt ausmachen, aber auch der italienische Theoretiker A. Negri. Dieser sieht in den neuen Selbständigen, den Wissensarbeitern und Symbolanalytikern (dem sogenannten "gesellschaftlichen Arbeiter") die Keimzellen einer neuen, kommunistischen Gesellschaft.
6 André Gorz befürchtet hier die Herausbildung eines "national-produktivistischen Bundes zugunsten einer liberal-kapitalistische Modernisierung" aus Unternehmern und "Arbeitsplatzbesitzern"
7 Das ist für immer mehr Menschen heute nicht mehr vorrangig der (ständig wechselnde und kaum noch kollektiv erlebte) Arbeitsplatz, sondern eher das Arbeitsamt, Wohnumfeld etc.
8 Beispielsweise durch Unterstützung von Streikaktionen mittels Blockaden etc.
Literatur
[1] Pauli, Charles, Neue Arbeitswelten,
isw-report Nr.27, München 1996
[2] Ribolits, Erich, Die Arbeit hoch?, Wien 1997
[3] Rifkin, Jeremy, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt 1997
[4] Revelli, Marco, Vom "Fordismus" zum "Toyotismus", Supplement der Zeitschrift
Sozialismus 4/97, Hamburg 1997
[5] Roth, Karl Heinz, Die neuen Arbeitsverhältnisse und die Perspektive der
Linken, Wildcat-Zirkular Nr.42/43, 1998
[6] Roth, Karl Heinz (Hg.), Die Wiederkehr der Proletarität, Dokumentation der
Debatte, Köln 1994
[7] Gorz, André, Kritik der ökonomischen Vernunft, Hamburg 1994
[8] Gruppe Blauer Montag, Gegen die Hierarchisierung des Elends, Überlegungen
zu Prekarisierung, Existenzgeld und Arbeitszeitverkürzung, Hamburg 1998